Seelenfutter
Jederzeit ein Engel sein
(Gedicht für jeden Tag im Jahr)
Jeder wünscht sich jeden Morgen
irgend etwas - je nachdem
Jeder hat seit jeher Sorgen,
jeder jeweils ein Problem.
Jeder jagt nicht jede Beute.
Jeder tut nicht jede Pflicht.
Jemand freut sich hier und heute.
Jemand anders freut sich nicht.
Jemand lebt von seiner Feder.
Jemand anders lebt als Dieb.
Jedenfalls hat aber jeder,
jeweils irgend jemand lieb.
Jeder Garten ist nicht Eden.
Jedes Glas ist nicht voll Wein.
Jeder aber kann für jeden
jederzeit ein Engel sein.
Ja, je lieber und je länger
jeder jedem jederzeit
jedes Glück wünscht, umso enger
leben wir in Ewigkeit.
James Krüss
Und ich traue meiner Sehnsucht
die langen Nächte des Winters
das Haus war Schutz
die kleine Kerze Trost
es war gut hier zu sein
aber mit jedem Tag
wächst auch die Sehnsucht
nach dem Anderen
um mich neu zu spüren
ich lösche die kleine Kerze
öffne vorsichtig die Tür
wage den ersten Schritt
- und atme auf
da ist Himmel
da sind Farben
da ist Weite
und das Leben lockt
ein letzter Blick zurück
danke für das was war
ein Blick voraus
wer weiß was sein wird
der Wind frischt auf
ich atme durch
nehme meinen Rucksack
und gehe los
dem Leben entgegen
Andrea Schwarz
Lieber Gott,
Weihnachten fällt dieses Jahr aus. Das hört man gerade überall. Aber wer Dich kennt, weiß, dass das natürlich nicht stimmt. Denn Menschen durch Krisenzeiten zu begleiten, war immer schon Deine größte Stärke. Gerade an Weihnachten kommst Du uns immer mit der Hoffnung: „Die noch im Dunkeln wandeln, sehen ein Licht“. Du lässt Menschen einkehren in einen Stall. Weil dort – zwischen Stroh und Stern – Platz ist für alles, was das Leben schwer macht. Im Stroh ist es geborgen, und der Stern weist darüber hinaus.
Aber ehrlich gesagt, Gott: Die Geschichte mit dem Stall, die berührt uns auch deswegen alle Jahre wieder, weil in diesem Stall alle zusammengerückt sind: Die jungen Eltern und arme Hirten, Esel und Engel, sogar Könige! Ja, zusammengerückt lässt sich alles leichter ertragen und hoffen.
Und genau das, Gott, ist in diesem Jahr unser Dilemma. Wie soll das funktionieren: Abstand halten im Stall? Wo bleibt da die Menschlichkeit? Die Wärme? Gerade an Weihnachten fühlen sich die Abstände zwischen uns besonders kalt an.
Und doch geht es nicht anders. Dieses Mal müssen wir improvisieren … Sag mal, Gott, Dein erstes Weihnachten, war das nicht auch improvisiert? Der Stall war doch ganz klar eine Notlösung. Oder war das als Hinweis von Dir gemeint, dass Menschlichkeit eben oft aus der Not heraus geboren wird? Weil Notlösungen vielleicht mehr Platz lassen für Gnade? Gott, bitte hilf uns dabei, stallähnliche Notlösungen zu finden, um einander Zeichen der Menschlichkeit zu geben!
Aber sieh auch, Gott, wie erschöpft wir am Ende dieses Jahres sind von all dem Suchen nach immer neuen Lösungen und Notlösungen! Deswegen: Wir brauchen Dich, Gott! Bitte füll Du all die Lücken und Abstände, die wir aus Liebe zueinander wahren. Bitte bau Du in jedes Wohnzimmer und jedes Krankenzimmer einen improvisierten Stall, in dem Du uns nah bist. Stell Deinen Stern diesmal so hoch an den Himmel, dass wir alle darunter passen mit Abstandhalten!
Dort – ganz oben – müsste sein Licht doch schon hinaus- weisen über das Dunkel, in dem wir noch drinstecken… Hilf uns, Gott, unter Deinem Stern zusammenzuhalten!
Inga von Gehren